Vergnügen im Halle der 20er-Jahre

Trat Otto Reuter mit diesem Couplet auf die Bühne, dann würzte er es immer mit aktuellen Bezügen aus Politik und Gesellschaft. Damit riss er die Zuschauer vor Begeisterung von den Plätzen. Zweimal, 1925 und 1930, gab der bekannte Kabarettist jeweils fast vierzehntägige Gastspiele im Walhalla am Steintor. Kein Abend verging ohne tobend verlangte Zugaben. Das Walhalla war einer der Plätze in Halle, zu denen es Frauen und Männer zog, um dem schweren Alltag der gar nicht so Goldenen Zwanziger Jahre für einige Stunden zu entfliehen. Die aus den Folgen des Ersten Weltkrieges und der Weimarer Republik entstandenen Einschränkungen wie Arbeitslosigkeit, Teuerung, Armut und Not hatten in fast jedem Familien- und Freundeskreis Spuren hinterlassen. Eine besondere Rolle kam dabei den Frauen zu. Sie mussten während des Krieges und danach die Plätze der Männer einnehmen und arbeiteten in für sie neuen Bereichen von Wirtschaft und Gewerbe. Die so errungene Selbstständigkeit zeigte sich nicht zuletzt in der Emanzipation der Frauen. Ein wichtiger Meilenstein war dabei das 1918 erlangte Frauenwahlrecht: In Halle saßen 1920 sieben Frauen in der Stadtverordnetenversammlung. Trotz täglicher Mühsal suchten sich die Menschen mit Spaß, Amüsement und Geselligkeit abzulenken. Halle, die aufstrebende Industriemetropole im mitteldeutschen Raum, bot dazu unterschiedliche Gelegenheiten. Einige dieser öffentlichen Orte werden hier vorgestellt.



Bei Jung und Alt, Arm und Reich gleichermaßen beliebt war das jüngste Unterhaltungsmedium: der Kintopp. Unabhängig von Geldbeutel und Bildung träumte und litt man gemeinsam mit den Helden des Stummfilms – im Oktober 1929 kam der erste Tonfilm nach Halle. Für wenige Stunden herrschte die Illusion sozialer Gleichheit; Existenzängste und der graue Alltag waren vergessen. Am Ende des Ersten Weltkrieges verfügte Halle über elf der äußerst beliebten Lichtspiel-Theater, 1930 waren es trotz Inflation und Weltwirtschaftskrise immer noch zehn Spielstätten. Die größten unter ihnen boten 1000 und mehr Kinogängern Platz. Das Programm reichte von Drama und Krimi, über Lustspiel und Klamotte, bis zu Western und Gruselfilm. Zeitgenössische Stars wie Henny Porten, Paula Negri, Ossi Oswalda und Rudolf Valentino fanden auch in Halle ihr Publikum. Zu den großen Palästen im Stadtzentrum – darunter drei Ufa-Kinos (Alte Promenade, Leipziger Straße, Walhalla) und der Schauburg in der Großen Steinstraße – gesellten sich kleinere Spielstätten in den Vororten. Am 19. Oktober 1928 eröffnete das Capitol in der Lauchstädter Straße. Das Haus, ein expressionistischer Neubau mit beeindruckender Innengestaltung im Art Deco, lockte mit ausgewählten Filmen abseits des üblichen Durchschnittprogramms.



Fast ebenso anerkannt wie die Kinos waren die Häuser der leichteren Unterhaltung, in denen Kabarett und Varieté, Revue und Operetten, Ringkämpfe und Jazzkonzerte geboten wurden, darunter das Apollo-Theater. Am bekanntesten war das Walhalla. Mehrmals gelang es der Leitung des Hauses, berühmte Künstler zu engagieren, darunter den Jongleur Enrico Rastelli, den oben genannten Otto Reuter, aber auch die Komiker Karl Napp und Paul Beckers. Das Moderne Theater an der Neuen Promenade bot, seit 1925 unter der Regie von Ferry Rosen, ebenfalls Variete und Revuen mit künstlerischem Anspruch. Auch hier gaben Stars Gastspiele, darunter Reuter, Beckers und Ringelnatz. Die Neugestaltung von Diele und Saal (1928) zu einem „Tanzkabarett“ mit Tanzfläche, Tischtelefonen und Bar machten das Haus zum „Brennpunkt halleschen Nachtlebens“. Gefeiert und getanzt wurde aber nicht nur dort. Alle größeren und kleineren Gastlichkeiten in der Stadt, die über einen oder mehrere Säle verfügten, luden zu Tanz, Festen und Feiern, Maskenbällen sowie Konzerten ein. Stellvertretend für die großen Häuser seien genannt der Hofjäger (Lindenstraße), die Saalschlossbrauerei (Seebener Straße) und das Stadtschützenhaus (Franckestraße). Letzteres wurde im Jahr 1927 mit hohem Aufwand modernisiert und erweitert. Außer in den großen Etablissements traf sich Frau und Mann aber auch in zahllosen Gastwirtschaften und Cafés oder in Ausflugslokalen und Vereinshäusern, um sich zu amüsieren. Dass vor allem Frauen sich für all diese Anlässe äußerst modisch kleideten und somit der einförmigen Alltäglichkeit einen farbigen Akzent entgegensetzten, zeigt eine Ausstellung zu Mode und Lifestyle der Zwanziger Jahre.

(Ute Fahrig, Kulturfalter Februar 2011)