Ein Projekt Karl Friedrich Schinkels von 1829

Als nach der Zusammenlegung mit der Universität Wittenberg im Jahr 1817 an der nunmehr Vereinigten Friedrichs-Universität in Halle die räumlichen Verhältnisse derart unerträglich eng geworden waren, dass der Neubau eines Kollegiengebäudes ernsthaft erwogen werden musste, wurde als eine von mehreren Optionen Anfang 1824 auch der Auf- und Ausbau der zu dieser Zeit partiell unterschiedlich genutzten, im Übrigen aber in Ruinen liegenden Moritzburg ins Gespräch gebracht. Der Vorschlag gründete sich auf den erhoff ten Materialwert des überlieferten Bestandes, vor allem aber auf die zentrale Lage und funktionale Vernetzung mit umliegenden Universitätseinrichtungen wie Anatomie, Klinik, Entbindungsanstalt, Physikalisches Institut, Bibliothek, Reitbahn und Botanischer Garten.

Zudem genoss die spätmittelalterliche Burgruine als Ort der Geschichte, Denkmal der Kultur und malerisch gelegenes Wallfahrtsziel der Romantik ein hohes Ansehen. Ab Mai 1827 favorisierte das Berliner Kultusministerium dagegen den Standort des Barfüßerklosters/Stadtgymnasiums auf dem Schulberg, dem heutigen Universitätsplatz. Der Mitarbeiter in der Berliner Oberbaudeputation Carl Ferdinand Busse legte 1828 einen Entwurf vor, der Staat erwarb das Grundstück vom Magistrat, die darauf noch stehenden Bauten wurden abgebrochen, im Juni/Juli 1828 auch die seit 1811 als Schauspielhaus genutzte Kloster-/Schulkirche.



Nachdem aber am 28. Mai 1828 Kronprinz Friedrich Wilhelm (IV.) den Wunsch geäußert hatte, es lieber zu sehen, wenn die Moritzburg für Universitätszwecke auf- und ausgebaut würde, stellte man die Bauvorbereitungen auf dem Schulberg ein. Am 31. Oktober 1828 erteilte Kultusminister von Altenstein dem Geheimen Oberbaurat Karl Friedrich Schinkel den Auftrag, einen diesbezüglichen Entwurf anzufertigen. Die Projektbearbeitung erfolgte unter Mitwirkung des Baukondukteurs Carl Ferdinand Busse bis Juli 1829. Aus dem schier unlösbaren Konflikt zwischen der Forderung, ein funktionstüchtiges, modernes Universitätsgebäude zu projektieren, und dem denkmalpfl egerischen Anliegen, ein einzigartiges Denkmal des „vaterländischen Altertums“ vor der Vernichtung zu bewahren, bezog Schinkel Ansporn und Kraft, einen grandiosen Entwurf abzuliefern.

Den Ausgangspunkt der Planung bildete die auf den vermeintlich mittelalterlichen Bestand reduzierte Ruine, die statt der rekonstruktiven Wiederherstellung in den Neubau integriert werden sollte. Durch die eurhythmische Komposition sollte der Bau einen ebenso malerisch-bewegten wie stereometrischgefestigten Charakter gewinnen. Die Gesamtkubatur des alten „festen Schlosses“ wäre annähernd wiederhergestellt und die Burgkapelle rekonstruiert worden. Bauformen sollten, etwa an Türen und Fenstern, erhalten bzw. kopiert, die originalen Bauplastiken an ihren Standorten belassen werden. 



Die erwartete Funktionstüchtigkeit der Moritzburg, die beabsichtigte stilistische Einheit und ästhetische Integrität ließen allerdings auch Eingriffe in die Substanz zu, die wertvolle historische Informationen getilgt hätten. In seiner Widersprüchlichkeit entspricht der Entwurf dem damaligen Stand der sich gerade etablierenden Denkmalpflege und darf in seinem exemplarischen Charakter inzwischen durchaus selbst als ein Denkmal gelten. Die zu erwartenden hohen Kosten, die konstruktiv-statischen Unwägbarkeiten bei der Verwendung des alten Gemäuers und Schwierigkeiten beim Rückkauf privater Erbpachtrechte ließen es schließlich geraten erscheinen, von dem Vorhaben Abstand zu nehmen. Der Kronprinz gab seine Idee auf und zog sich zurück. 

Auch Pläne über eine anderweitige Verwendung der Burg, etwa als Kaserne, Gericht oder Museum, wurden nicht verwirklicht. Der teilweise Ausbau der Burgruine für universitäre und museale Zwecke setzte erst Ende des 19. Jahrhunderts ein. Das dringend benötigte Universitätsgebäude entstand 1832 bis1834 nun doch auf dem Schulberg (Universitätsplatz) als klassizistischer Neubau nach einem Entwurf von Ernst Friedrich Zwirner, der später als Dombaumeister von Köln Berühmtheit erlangen sollte. Vorgesehen war ein langgestrecktes, sich um zwei Innenhöfe gruppierendes Gebäude. Gebaut wurde aus Kostengründen nur – gedacht als erste Bauetappe – der mittlere Teil (Abb. 2). Bei diesem Torso einer ursprünglich größeren Planung ist es bis heute geblieben. Gleichwohl gehört das sogenannte „Löwengebäude“ als einziges erhaltenes Beispiel einer repräsentativen spätklassizistischen Architektur zu den solitären Zeugnissen der hallischen Stadt-, Universitäts- und Baugeschichte. Zudem handelt es sich um den ersten vollendeten Universitätsneubau (ein Jahr vor Leipzig!) des 19. Jahrhunderts in Deutschland, an dem bereits alle wichtigen Funktions- und Gestaltungsmerkmale als Leitmotive für die Zukunft entwickelt waren.

(Dieter Dolgner, Kulturfalter Januar 2012)