Die Hallischen Schöffenbücher

Seit 1161 übte der Schultheiß in Halle nachweislich die Gerichtsbarkeit aus. Bereits seit Karl dem Großen ist im Deutschen die Einrichtung eines Schöffenamtes bezeugt, das u.a. der Zentralisierung der Gerichtsbarkeit dienen sollte. Das Schöffengericht konnte sich allmählich in Städten und Dörfern zu einem Herrschaftsinstrument unter dem Vorsitz des Schultheiß entwickeln. Die Verhandlungen des Hallischen Schöffengerichtes sind ab 1266 mit den Hallischen Schöffenbüchern schriftlich belegt. Eine Vorrede aus dem Jahr 1266 erlaubt eine Datierung über den Beginn der Aufzeichnungen. Der besondere Wert dieser Bücher besteht in einer bis 1807, dem Jahr der Auflösung des Schöffengerichtes, vorliegenden Überlieferung. Auf diese Weise werden die Hallischen Schöffenbücher zur wichtigen Quelle regionaler Kultur- und Sprachgeschichte für Germanisten und Juristen, Historiker und Volkskundler.

Von den insgesamt 166 Büchern, die in diesem Zeitraum entstanden, befinden sich die ersten sieben Bücher im Besitz der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle, die übrigen im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt in Wernigerode. Dabei handelt es sich keinesfalls um Prachthandschriften des Mittelalters, sondern um Gerichtsbücher mit öffentlichem Beweischarakter. Die Eintragungen verschiedener Schreiber sind nicht immer sorgfältig, auf einzelnen Blättern finden sich z. B. Federproben, auch das Pergament hat z.T. eine schlechte Qualität. Das Schöffengericht trat aller 14 Tage unter dem Vorsitz des Schultheiß, dem Vertreter des Burggrafen, zusammen.



Die Antragsteller erschienen freiwillig vor dem Gericht, um einen vertraglichen Sachverhalt schriftlich fixieren zu lassen. Die Protokolle dieser Rechts- verhandlungen wie z.B. Kauf, Verkauf, Schenkung, Vererbung, Verpfändung und Überlassung wurden nachträglich in die Bücher übernommen. Damit ließen sich u.a. Besitzansprüche, Einkünfte, Erbschaften und Verbindlichkeiten gegenüber Dritten abweisen oder bestätigen. Eine vollständige Rekonstruktion der Verhandlungen ist nicht immer möglich, da mitunter Angaben z.B. zu Personen, zu Ortsbezeichnungen, zur Höhe der Schulden oder zum Kaufpreis fehlen.

Das Schöffengericht von Halle, auch als Schöffenstuhl bezeichnet, besaß durchaus über- regionale Bedeutung. Die Antragsteller kamen nicht nur aus der Stadt, sondern aus den umliegenden Dörfern Dizkowe (Dieskau), Amendorp (Ammendorf ) und Wedemar (Wiedemar) sowie aus dem entfernten Kloster  Bürgel. Die hohe Anzahl der Schöffen dürfte ebenso die Bedeutung  des hallischen Gerichtes belegen. Dem Schöffenkollegium gehörten insgesamt zwölf Vertreter an, neben dem Schultheiß elf weitere Schöffen. Dabei handelte es sich um Bürger einflussreicher und angesehener Familien der Stadt, die in den Vorreden der Bücher namentlich genannt werden. Die Sprache der Schöffenbücher ist 1266 weitgehend Niederdeutsch (Schöppen  statt hoch- deutsch Schöffen), da Halle in dieser Zeit noch zum niederdeutschen Sprachraum gehörte.



Seit dem 14. Jahrhundert wurde in den Büchern vereinzelt Hochdeutsch geschrieben und das Niederdeutsche allmählich verdrängt. Dieser Sprachenwechsel vollzog sich zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Lediglich einige niederdeutsche Personennamen (1425 Eykendorp statt hochdeutschichendorf ), Hausnamen (1442 Hus zu dem Morkoppe statt hochdeutsch Haus zum Mohrkopf) sowie rechtliche Begriffe (1456 Schepphen statt hochdeutsch Schöffen) lassen sich noch bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts in den  Schöffenbüchern nachweisen. Dabei kam den Schreibern eine besondere Bedeutung zu, denn sie verschriftlichten nachträglich die vor Gericht getroffenen Vereinbarungen und gaben damit die Sprachsituation vor Ort wider. Letztendlich erforderte auch die überregionale Bedeutung des hallischen Schöffengerichtes eine sprachliche Variabilität, so dass Niederdeutsch und Hochdeutsch im Mittelalter zunächst durchaus nebeneinander stehen konnten und verstanden wurden.

(Andrea Seidel, Kulturfalter Januar 2009)