Das Mittelalter war keine romantische Zeit

Der Erfolg der Journalistin und Romanautorin Sabine Ebert ist fast schon selber Stoff für eine Sage. Im Jahr 2006 erschien ihr Romandebüt im Knaur-Verlag: „Das Geheimnis der Hebamme". Das Buch war Auftakt einer fünfbändigen Saga über die Siedlerzüge in den Osten und die ersten Silberfunde im Erzgebirge zur Zeit Barbarossas. Die Hebammenromane erzählen packend und spannend sowie mit einem Schuss Liebe die Geschichte Mitteldeutschlands. Die Bücher wurden Bestseller und 2016 verfilmt. Mitte 2012 schrieb Sabine Ebert an einem Buch über die Völkerschlacht bei Leipzig. Kulturfalterredakteur Martin Große sprach mit ihr über ihre Bücher und ihr neues Projekt.  

Kulturfalter: Als Einstieg habe ich eine Frage einer unserer Leserinnen: Einige Szenen in den Hebammenbüchern sind grausam und blutig und handeln auch von Vergewaltigungen – Was ist das für ein Gefühl, solche Szenen niederzuschreiben?

Sabine Ebert: Das ist schwierig zu schreiben, denn man leidet mit den Figuren mit. Aber der Alltag im Mittelalter war brutal. Die Frauen waren damals den Männern in einem Maße ausgeliefert, das man sich heute kaum vorstellen kann, und das darf man auch nicht aussparen, denn sonst wird es Kitsch. Ich werde auch von meinen Leserinnen darauf angesprochen und sage dann nur: „Es war im wirklichen Leben noch viel grausamer.“ Eine detaillierte Beschreibung, wie die damals übliche Strafe des Räderns aussah, von der wir heute die verharmlosende Redensart „Ich fühl mich wie gerädert“ haben, genügt dann meistens als Beweis. Natürlich muss ich abwägen, was ich den Lesern zumuten kann. Unser Bild vom Mittelalter ist romantisch verklärt durch die Märchen, alte Hollywoodfilme und Mittelaltermärkte; dagegen möchte ich anschreiben.  

Sind Sie manchmal erschrocken über das, was Sie schreiben?

Ich bin nicht erschrocken über das, was ich schreibe, sondern über das, was ich bei den Recherchen finde.

Was findet man da?

Dass zum Beispiel Liebe und Ehe nichts miteinander zu tun hatten. Oft wurden adelige junge Frauen in Klöstern großgezogen, wo sie nichts über Männer erfuhren, und dann wurden sie blutjung mit einem zwanzig oder dreißig Jahre älteren Mann verheiratet, wenn das für die Familie eine dynastisch und finanziell vorteilhafte Verbindung war. Frauen durften im Bett keine Lust beim Sex empfinden, das galt als schlimme Sünde. Insofern waren die Ehemänner auch nicht aufgefordert, besonders zartfühlend vorzugehen. Es galt als ihr gutes Recht, die Ehefrau und die Kinder zu schlagen. Sich dann vorzustellen, was Generation um Generation von Frauen erdulden mussten, finde ich erschreckend. Mit dem Klischee der Minnesänger zum Beispiel hatte die Wirklichkeit nichts zu tun. Ein Ritter wurde so erzogen, dass er auch Minnelieder singen und damit der Frau seines Herrn huldigen konnte. Aber danach ging er vielleicht in die Kammer und verprügelte dort seine Frau. Natürlich gab es auch Paare, die in Liebe miteinander verbunden waren, wie zu jeder Zeit. Doch das war damals nicht die Norm. Man heiratete aus wirtschaftlichen und politischen Interessen, nicht aus Liebe. 



Für Ihr neues Buch sind Sie nach Leipzig gezogen, denn es handelt sich um ein Buch über die Völkerschlacht. Hatten Sie, als die Anfrage kam, gleich eine Idee für eine Handlung?

Die Handlung ist vorgegeben durch die geschichtlichen Ereignisse. Man braucht aber eine Idee, wie man es umsetzt, wie man diese Geschichte lebendig macht und aus welcher Perspektive man sie erzählt. Die Ideen kamen mir ziemlich rasch bei der Auseinandersetzung mit dem Thema. Ich wusste, das ist eine große Herausforderung, ein sehr komplexes und vielschichtiges Thema, bei dem es nicht einfach nur Gut und Böse gibt. Aber ich habe die Unterstützung der Leipziger, die mit dem Thema an mich herangetreten sind und mir jede Unterstützung bei der Recherche zugesichert haben. Ohne dieses Hinterland hätte ich mich nicht an die Völkerschlacht herangewagt.

Wird es in dem neuen Buch Verweise auf Handlungen, Personen aus den vorangegangenen Büchern geben?

Nein, es wird jetzt nicht die Ururururururururenkelin der Hebamme auftauchen. Dazwischen liegen 600 Jahre. Jetzt muss ich wirklich mal etwas anderes machen, sonst wäre es zu sehr an den Haaren herbeigezogen.  

Wird die Hauptfigur wieder eine Frau sein?

Das gibt das Thema eigentlich nicht her: eine Frau als Hauptfigur. Es wird natürlich einige sehr interessante Frauen in diesem Roman geben, aber ich kann keine Frau auf dieses Schlachtfeld schicken – es sei denn als Marketenderin. Deswegen werden hier überwiegend Männer agieren, das ergibt sich einfach aus dem Thema. Ich muss ja schauen, was ist wahrscheinlich und was ist im Bereich des Möglichen? Auf diesem Schlachtfeld haben die Männer gekämpft, gehungert und sind gestorben. Andererseits schreibe ich nicht nur über die drei Schlachttage aus Sicht der Militärs, sondern auch über das zivile Leben in diesem Schicksalsjahr.  

Wahrscheinlich wird auch in diesem Buch viel gestorben und es wird viel Blut fließen, ist es bei so viel Greul für Sie manchmal notwendig, Abstand zu den Dingen zu nehmen?

Ich habe Augenzeugenberichte gelesen, und das war so schlimm, dass der Verstand sich weigert, es aufzunehmen. Aber in diesem Buch wird es nicht so viele blutige Szenen geben, wie Sie vielleicht denken. Es geht bei weitem nicht nur um die Tage der Schlacht, sondern auch um die politischen Hintergründe, die Lebensumstände jener Zeit, die Hoffnungen der Menschen. Wie haben sie gelebt damals? Wie haben sie es geschafft, zu überleben und sich dabei ein Stück Menschlichkeit zu bewahren? Und beim Schreiben habe ich immer Blumen um mich herum, eine brennende Kerze – als Symbol.  

Spüren Sie einen gewissen Erfolgsdruck bei Ihrem nächsten Buch?

Es gibt natürlich Zeitdruck durch den Abgabetermin, und es gibt Erwartungen des Verlages, meiner Leser und auch den Druck, den ich mir selber mache. Das Thema ist stark unterrepräsentiert in der Forschung und ganz besonders in der Belletristik. Über die napoleonische Ära gibt es unendliche viele Bücher und Filme, aber nicht über die Völkerschlacht, abgesehen von Sachbüchern, die überwiegend in und um Leipzig sehr verdienstvoll zusammengetragen wurden. Das ist wirklich ein Phänomen, denn es war bis zum Ersten Weltkrieg die größte Schlacht der Menschheitsgeschichte. Jetzt habe ich die Chance, diese Geschichte zu erzählen und vielleicht eine Wende in der Wahrnehmung des Themas zu bewirken. Diese Chance habe ich nur einmal. Ich habe großen Respekt vor dem Thema und nehme das sehr ernst. Deshalb bin ich auch nach Leipzig gezogen. 

Wann müssen Sie denn abgeben?

Im Oktober/ November. Das wird noch eine harte Zeit bis dahin, die eine sehr konzentrierte Arbeit erfordert. Ich habe jetzt 330 Seiten Rohfassung und es werden schätzungsweise 800 Seiten.

Sie sind Journalistin und haben Lateinamerikawissenschaften/ Sprachwissenschaften studiert. Hat Ihnen Ihr Studium in Bezug auf Ihren jetzigen Beruf viel gebracht?

Ich hatte vorher ein journalistisches Volontariat gemacht, denn es war mein Berufswunsch, Journalistin zu werden. In der Redaktion gehörte ich zum ersten Jahrgang, der nicht komplett zum Journalistikstudium nach Leipzig geschickt wurde, sondern einige auch zu Spezialrichtungen. Ich hatte in meiner EOS (Erweiterte Oberschule, das Gymnasium der DDR) schon Spanischunterricht, deshalb kam dieser Vorschlag mit den Lateinamerikawissenschaften. Ich liebe diese Sprachen (Spanisch und Portugiesisch) sehr, doch es war für mich immer klar, wieder in den Journalismus zurückzugehen. Mein journalistisches Handwerkszeug habe ich in der Magdeburger Bezirksredaktion des adn, einer Nachrichtenagentur, gelernt. Ich hatte sehr gute Mentoren. Sie haben mich auch ermutigt, mich an anderen Genres auszuprobieren, wie zum Beispiel Reportagen, was bei Nachrichtenleuten nicht typisch ist.  

Was wollten Sie mit Ihrem Studium anfangen? Was war der Ausgangspunkt für Ihre Studienwahl?

Das war immer klar. Ich wollte Journalistin werden. 

Hatten Sie, während Sie Hausarbeiten geschrieben haben, schon Ambitionen, ins Romanhafte abzugleiten?

Das mit den Hausarbeiten gab es in meinem Studium nicht. Wir hatten Dolmetscherpraktika stattdessen. Aber es war in meiner Schulzeit so: Ich habe unheimlich gerne Geschichten und Aufsätze geschrieben. Die hatten allerdings den Makel, dass sie ständig zu lang wurden, also deutete sich da schon an, (lacht) dass ich einen ziemlichen Hang zum Fabulieren habe.



Sind Sie heute noch als Journalistin tätig?

Als das erste Buch kam, war das noch möglich. Jetzt geht das gar nicht mehr. Es ist so viel Aufwand, für ein Buch zu recherchieren, das kann sich kein Außenstehender vorstellen. Was ich ebenfalls nicht so eingeplant hatte, sind die vielen Auftritte, Lesungen, Interviews. So schön auch die Begegnungen mit den Lesern sind, die Zeit fehlt einem dann beim Schreiben. Deshalb bleibt keine Zeit mehr für den Journalismus, für Partys oder Ähnliches, ich muss alle Kraft auf das Buch konzentrieren. 

Haben Sie den Anspruch, jedes Jahr ein Buch zu schreiben?

Das war bisher so in meinem Vertrag, und es ist auch ein guter Rhythmus, um dann immer im Herbst – zur Messe und vor Weihnachten – eine Neuerscheinung zu haben. Aber jetzt für die Völkerschlacht habe ich anderthalb Jahre Zeit, das wäre in einem Jahr überhaupt nicht zu schaffen. Eigentlich hätte ich gerne noch mehr Zeit, aber der Roman soll ja pünktlich zur nächsten Leipziger Buchmesse erscheinen. Dann reiht er sich ein in die vielen Aktivitäten, die es nächstes Jahr zum Gedenken an die Völkerschlacht geben wird – 200 Jahre nach dem Ereignis. 

Könnten Sie sich vorstellen, wieder als Journalistin zu arbeiten?

Ich habe es anfangs schon ein wenig vermisst, denn ich war im Lokaljournalismus tätig, und da kann man die lokale Politik schon ein bisschen mitgestalten. Aber ich wollte immer schon Geschichten erzählen und damit die Menschen bewegen, und nun habe ich die Möglichkeit dazu. Es ist nicht nur eine große Freude, sondern ein Privileg, vom Schreiben leben zu können. Deshalb hoffe ich sehr, dass mir die Leser aus dem Mittelalter in die neue Zeit folgen, ins spannende und dramatische Jahr 1813, wo sich Europas Schicksal entschied...  

Frau Ebert, vielen Dank für das Interview.

(Martin Große, Kulturfalter November 2012)

 

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